19:30 Eglise de Saanen
Renaud Capuçon, violon
Gautier Capuçon, violoncelle
Guillaume Bellom, piano
Arthur Hinnewinkel, piano
Anna Agafia, violon
Paul Zientara, alto
Carte blanche à Renaud Capuçon et Gautier Capuçon
Renaud Capuçon, violon
Gautier Capuçon, violoncelle
Guillaume Bellom, piano
Arthur Hinnewinkel, piano
Anna Agafia, violon
Paul Zientara, alto
Carte blanche à Renaud Capuçon et Gautier Capuçon
Brahms – Violinen- und Klaviersonate Nr. 3 in d-Moll, Op. 108
Im Jahr 1888 war Brahms fünfundfünfzig Jahre alt und mit Ehrungen überhäuft. Verehrt als Solist, Dirigent und Komponist hatte er nichts mehr zu beweisen und war so gelangweilt, dass er gestand: „Ich ziehe es vor, an eine schöne Melodie zu denken, als den Leopold-Orden zu empfangen.“ Auf den Fotos, mit seinem ehrwürdigen weissen Bart, sah er bereits aus wie ein alter Mann. Man kann sich also vorstellen, dass unser musikalisches Schwergewicht, während er den himmlischen Thunersee betrachtete, mit Nostalgie auf den kreativen Elan seiner frühen Jahre zurückblickte.
Schon zu Beginn des Allegro entwickeln sich zwei Sonaten parallel: die eine poetisch und sentimental, geprägt von der Violine, die andere bedrohlich und fatal, gewebt vom Klavier. Und dieser Eindruck bleibt, je weiter das Stück fortschreitet: Trotz der leidenschaftlichen Themen auf beiden „Seiten“ ist es mehr ein Magma als ein Dialog, das Brahms formt. Absoluter Kontrapunkt: Selbst die linke und rechte Hand des Pianisten entfremden sich voneinander. Doch aus diesem zerklüfteten Moloch entsteht eine Einheit, eine Farbenpracht, die an ein Wunder grenzt.
Auch der langsame Satz entzieht sich den Archetypen der Sonate. Vom Schluchzen des Saiteninstruments eingeschüchtert, fungiert das Klavier zunächst als Sicherheitsnetz, das unter einen Drahtseilakt gespannt ist. Doch so gefährlich die Akrobatik auch ist, der Artist erreicht das andere Ufer, was seinem Partner, für einen kurzen Moment, das Gesicht zeigen lässt. Es folgt die melancholische Wiederauferstehung der Ur-Cavatine, bereichert mit dem Gewicht der Existenz.
Im dritten Satz tankt man neue Energie mithilfe eines slawischen Walzers, diesmal vom Klavier geführt. Doch es ist ein sehr seltsamer Tanz, der Clara Schumann die Vorstellung eines hübschen Mädchens gab, das mit seinem Liebhaber spielte. Sind die Pizzicati Streicheleinheiten? Eine Schalkhaftigkeit schwebt dazwischen, zwischen Erwachsensein und Kindheit.
Das Finale weigert sich zu schlafen. Mit seinen Tarantella-Akzenten und virtuosen Flügen schliesst Brahms ab, dass man jung bleibt, wer sich dafür entscheidet. Also, hoch lebe der Exzess!
Ungarische Tänze, Auszüge: Tänze Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 6
In einem letzten Akt der Demut tragen Brahms’ Ungarische Tänze keine Opusnummer. Der Komponist fand, dass er wenig mehr als deren Bearbeiter war, der seine Lieblings-Zigeunermelodien aus der ungarischen Folklore transkribiert hatte (für vier Hände am Klavier, später auch für Orchester). Diese berühmten Stücke, die über einen Zeitraum von zehn Jahren komponiert wurden, glorifizieren das Wesen der slawischen Musik – von ihren chaotischen, wirbelnden Tempi bis hin zu ihrem universellen, lyrischen Ausdruck.
Klavier- und Streichquartett Nr. 1, Op. 25
Ein Rückblick: Brahms war zwanzig Jahre alt, als er mit diesem Quartett begann, dessen Entstehung langwierig war, da es erst 1861 in Hamburg uraufgeführt wurde. War Beethovens prägende Figur erstickend für ihn? Der Künstler brauchte Sicherheit und schickte seine Partitur an seinen Freund, den ungarischen Geiger Joseph Joachim, der begeistert war, jedoch formale Kritiken zum ersten Satz äusserte – denen Brahms jedoch keine Beachtung schenkte.
Denn während Kammermusik oft ein codierter Bereich ist, drückt dieses Werk die Energie einer Jugend aus, die von allen Normen befreit ist. Man könnte schwören, dass Brahms im Allegro eine unendliche Anzahl von Motiven entfesselt – wie ein verstreutes Puzzle! Dann beginnt er, diese Teile mühsam zusammenzusetzen. Seine dichte und konsumierende Schreibweise ernährt sich von eigenen Referenzen, verschlingt und spuckt Variationen aus. So etwas hatte man vor Brahms noch nie gehört.
Introspektiver wird das Intermezzo, das das „Thema Clara“ (von ihrem geliebten Schumann geerbt) zum Klingen bringt, der ersten Pianistin des Werkes. Die elastischen Spannungen des ersten Satzes lösen sich: Plötzlich schwebt alles, aber in einem unruhigen Schweben. Darauf folgt ein Andante, dessen träumerische Weite die Vorstellung eines Orchesters heraufbeschwört. Insgesamt strebt das ganze Quartett danach, einen grösseren klanglichen Raum zu erobern als die vier Instrumente seiner Formation.
Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile. Was die träumerische Weite betrifft, so ist sie durchzogen von fast militärischen Schritten: Nichts ist bei Brahms jemals gesichert. Der Rondo alla zingarese (im Zigeunerstil), der als Höhepunkt des Werkes gilt, treibt das Finale in einem wilden Rennen voran. Eine Liebeserklärung an den Verbunk, einen ungarischen Tanz, der Schönberg wohl überzeugte, dieses Quartett zu orchestrieren, wodurch Brahms als Meister der romantischen Kammermusik etabliert wurde.