Montag, 3. Februar 2020

CHF 50 | 30.-

Franz Schubert (1798-1828)
Lieder

Unter der Patronage von

Präsentation des Konzerts

Schubert : Lieder
Wenn von frühreifen Genies die Rede ist, zitiert man zuerst gerne Mozart, der im Alter von fünfunddreissig Jahren starb. Doch auch Schubert ist in seiner Art einzigartig, schrieb er doch gegen sechshundert Lieder und veränderte damit die Geschichte der Vokalmusik, bevor er mit nur einunddreissig Jahren starb … Rätselhaftes Detail: Beide hatten eine Verbindung zu Salieri – der eine als Rivale, der andere als Schüler beim Studium des Kontrapunkts. Doch wie soll man die Leidenschaft des sechs Jahre nach dem Tod des Salzburger Virtuosen geborenen Wieners für die Verbindung von Melodie und Dichtung – Klang und Sinn – erklären?

Halten wir zunächst fest, dass die deutsche Volkskunst von einer langen lyrischen Tradition geprägt ist. Die Idee, seine inneren Qualen mit der Stimme auszudrücken und dabei die Schönheit der deutschen Sprache zu verherrlichen, ist nicht neu: Sie liegt schon dem Minnesang des 12. Jahrhunderts zugrunde, aber auch den Volksliedern und Kirchenliedern, bis hin zu den Arbeiterliedern während des Kommunismus. Dabei ist der Text eines Liedes nie ein Vorwand, im Gegensatz zu zahlreichen Opernlibretti. Er ist fester Bestandteil des Werks und steht in ständigem Dialog mit der Partitur. Dem hat Schubert Rechnung getragen, als der die bedeutendsten Autoren seiner Kultur wählte (Klopstock, Schiller, Rückert, Heine, Johann Mayrhofer, Karl Theodor Korner, Joseph von Spaun, Franz von Schober, Johann Chrysostomus Senn, Matthäus Kasimir von Collin), aber auch ausländische Dichter wie Walter Scott, Shakespeare und Petrarca. Und natürlich Goethe, der ihn mit dem Erlkönig zu einem seiner schönsten Lieder inspirierte. Der Musiker hatte das Juwel dem grossen Schriftsteller geschickt, der sich jedoch nicht die Mühe machte, den Brief zu öffnen.

Über die Sprache hinaus, erweisen sich Schuberts Lieder als charakteristisch für den deutschen romantischen Geist – die Kunst des Komponisten besteht darin, mit immanenter Klarheit die traurige (oder zornige) Ekstase des einsamen Wanderers in den Bergen auszumalen, der das Ziel seiner Wanderung vergessen hat. Dabei dienen ihm die verschiedenen Gesangstechniken als Pinsel und die komplexe Sinnlichkeit des Klaviers als Hintergrund. Seine Farbenpalette bewegt sich zwischen den dunklen Blautönen, dem ungreifbaren Schwarz der Dämmerung und dem malvenfarbenen Dunst der Zauberwälder … Die Szenerie der Geschichten, die man dem kleinen Franz vor dem Einschlafen erzählte? Nicht sehr wahrscheinlich. Alles deutet darauf hin, dass seine Eltern keine Zeit für Gutenachtgeschichten hatten: Als zwölftes von vierzehn Kindern, von denen neun frühzeitig starben, kannte er in seiner Kindheit Trauer und Einsamkeit. Als Jugendlicher, zum Zeitpunkt des Stimmbruchs, wandte sich Franz der Komposition zu. Als hätte er von Anfang an gespürt, dass das «Dazwischen» sein Markenzeichen werden sollte. Dass die Zeit der Reife von der Unbestimmtheit geprägt würde, angesiedelt zwischen der Verzweiflung und der Glückseligkeit; zwischen der Sehnsucht und dem Tod.

So kommt es nicht von ungefähr, dass seine Lieder von ganz unterschiedlichen Stimmen sublimiert wurden, vom kristallenen Kathedralenklang einer Elisabeth Schwarzkopf bis hin zu den seidigen Höhlen eines Dietrich Fischer-Dieskau, von der Opernsängerin Nathalie Stutzmann bis zum Countertenor Philippe Jaroussky. «Schuberts Geheimnis» liegt demnach wohl in der Tiefe verborgen – unter der Partitur, unter dem Text, unter der Musik selbst … Was war dieses Geheimnis? Der Komponist zog sich bekanntlich 1823 die Syphilis zu (von einer Frau, einem Mann?), und das Bewusstsein seines kranken Körpers führte zu Angstzuständen, begleitet von Schuldgefühlen und Scham. Das war für das Individuum fatal, erwies sich jedoch als günstig für den Künstler, der im Verlauf der Krankheit seine schönsten Stücke schrieb. So heisst es in seinem Tagebuch, seine Werke verdankten genauso viel seinem musikalischen Wissen wie seinen Schmerzen. Mit seinen harmonischen Lapsus, seinen Modulationen in Form von Fehlleistungen und der Verdrängung, die sich im Konflikt zwischen dem triebhaften Instrument und der intakten Sprache (bis hin zu den verschiedenen ödipalen Stimmen, die das Kind in den Armen seines Vaters vernimmt) zeigt, kündigt dieses visionäre Repertoire, ohne es zu wissen, jedoch schon in Wien und ein Jahrhundert früher, die Psychoanalyse an.

Je näher der Tod rückt, desto tiefer dringt die Forelle in den Abgrund vor, und das Verhängnis gewinnt die Oberhand. Die letzten Wörter des Lieds (und Gedichts) Der Wanderer deuten auf diese Melancholie hin: «Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.» Im März 1827 geht Beethoven Schubert in den Tod voran – dem noch ein Jahr zu leben bleibt. Es wird ein Jahr mit zahlreichen Meisterwerken, angefangen beim unvergänglichen Zyklus Die Winterreise. Man könnte fast meinen, der lebende Schatten des Meisters der Sinfonie habe den jungen Komponisten gehemmt; obschon Ludwig nach der einzigen (mutmasslichen) Begegnung mit diesem ausgerufen haben soll: «Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke!» Als er starb, befreite sein Standbild also diesen göttlichen Funken und erlaubte Schubert, seinen strahlenden Glanz über die Zeit zu verbreiten – bis zu Boulez, der erklären sollte: «Die Geschichte der Musik wäre die gleiche, wenn Schubert nicht gelebt hätte.» Er vergass jedoch, dass die Geschichte der Musik ein Herz hatte, und dass das Herz ein Gedanke ist.

Am selben Tag